Der Blick über den Tellerrand

Interview mit Diplom-Volkswirt Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover Steuerberatung und Wirtschaftsberatung für Heilberufe GmbH
Erschienen am 28. Juni 2023 | Letzte Änderung 28. Juni 2023

 
Frank Diener Treuhand Hannover
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Mit weniger als 18.000 Apotheken ist die Anzahl der Betriebsstätten so niedrig wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Aber woran liegt der stetige Rückgang? Viele wirtschaftliche Antworten dazu lieferte das DAV-Wirtschaftsforum, das Ende April in Berlin stattfand und auf dem die Branchenzahlen für das Jahr 2022 dargestellt wurden. Auch Dr. Frank Diener, Geschäftsführer und Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover, analysierte als Redner des Wirtschaftsforums die Situation. Die LAV-Nachrichten haben ihn zu seinem Blick auf die Apothekenwelt befragt.

Herr Dr. Diener, mit welchen betriebswirtschaftlichen Schlagworten beschreiben Sie das zurückliegende Jahr 2022?
Es gibt drei:
Erstens: Lieferengpässe – und zwar nicht nur bei den 470 vom BfArM registrierten Produkten, sondern bei vielen weiteren Arzneimitteln. Manche Probleme sind zu beheben, andere nicht – aber alle machen Mehrarbeit und Frust beim Apothekenpersonal und den Patienten.
Zweitens: Personalknappheit – denn die Abläufe werden komplizierter, viele Stellen sind unbesetzt und der Krankenstand hoch, weil die jahrelange Überlastsituation anhält.
Drittens: Kostensteigerungen an allen Fronten: erhöhter Kassenabschlag, tarifliche und übertarifliche Lohnkostenzuwächse, verschlechterte Einkaufskonditionen, Preisanhebungen der Warenwirtschaftshäuser, verteuerte Versicherungsgebühren und vervielfachte Kreditzinsen.

Wie haben sich die Apotheken insgesamt entwickelt und warum schließen Monat für Monat weitere Apotheken?
2022 haben die Apotheken insgesamt rund ein Viertel weniger Gewinn gegenüber dem Vorjahr erzielt. Insgesamt rutschen die Betriebe in schlechtere Umsatz-, Rohertrags- und Betriebsergebnisklassen. Das ist der Grund dafür, dass im letzten Jahr per Saldo fast 400 Betriebe aus dem Markt ausgeschieden sind und sich nach den bislang vorliegen Daten diese Zahl in 2023 voraussichtlich noch erhöhen wird.

(...)

Die ABDA fordert neben Honoraranpassungen auch eine finanzielle Pauschale zur Grundsicherung der flächendeckenden Versorgung. Über diesen Betrag sollen quasi die Kosten gedeckt werden, die einer Apotheke durch Vorgaben z. B. der Apothekenbetriebsordnung auferlegt werden. Was halten Sie von diesem Ansatz und wie hoch müsste eine solche Pauschale ausfallen?
Sehr viel. Dieser Ansatz wird derzeit bei der anstehenden Neugestaltung der Krankenhausfinanzierung unter dem Stichwort „Vorhaltekosten“ ebenfalls diskutiert. Auf die Apotheken übertragen heißt das, dass alle Kosten, die der Inhaber aufwenden muss, um eine Betriebserlaubnis zu erhalten und sie dann auch dauerhaft zu behalten, als regulativ bedingte Mindestkosten pauschal zu vergüten. Ganz konkret würde das heißen, dass die Raumkosten für die Mindestflächen, die erforderliche Ausstattung der Apothekenräume mit IT, Labor, Rezeptur, aber auch die Mindestwarenlagerkosten plus die Mindestpersonalbesetzungskosten für die Öffnungsstunden als Pauschale rechnerisch ermittelt und als Basispauschale ausgezahlt werden müsste. (...)

Wenn Sie es allein-entscheidend in der Hand hätten: Welche drei konkreten (gesetzlichen) Änderungen würden Sie vornehmen, um die Zukunft der flächendeckenden Apothekenversorgung zu sichern? Was muss dringend passieren?

  1. Mehr Vergütung: Kurzfristig ist eine neue Kalibrierung der Apothekenvergütung im AMG und der Arzneimittelpreisverordnung notwendig und zwar mit einer Kombination aus einer Basispauschale für die Vorhaltekosten plus einem an die Betriebskosten adjustierten RX-Kombimodell, wobei beides vom Bundeswirtschaftsminister jährlich zu überprüfen und an die Betriebskostenänderung anzupassen ist.
  2. Mehr Fairness: Mit einem Zusatz im SGB V wird klargestellt, dass nicht eingepreiste Zusatzleistungen (z.B. neue Dokumentationspflichten oder das Handling von Lieferengpässen) der Apotheken auch zusätzlich und adäquat vergütet werden.
  3. Mehr Fachpersonal: Die Bundesländer verpflichten sich, die Ausbildungskapazitäten an den pharmazeutischen Fakultäten dauerhaft und signifikant zu erhöhen sowie die PTA-Ausbildung komplett kostenfrei zu stellen.

LAV-Mitglieder lesen das komplette Interview hier.