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Der Blick über den Tellerrand

Interview mit Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg
Erschienen am 25. April 2023 | Letzte Änderung 25. April 2023

Seit gut drei Jahren ist Johannes Bauernfeind Chef der mitgliederstärksten Krankenkasse im Land, der AOK Baden-Württemberg. Der größte Teil seiner bisherigen Amtszeit seit dem 1. Januar 2020 fand unter den außergewöhnlichen Gegebenheiten der Corona-Pandemie statt. Die LAV Nachrichten haben mit Johannes Bauernfeind gesprochen und dabei auch die aktuellen apothekerlichen Themenfelder wie Lieferengpässe oder das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zum ALBVVG beleuchtet.

Herr Bauernfeind, welche Erkenntnisse haben Sie als AOK-Chef mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die Rolle der Apotheken dabei aus der Corona-Pandemie gezogen?
Im Rahmen der Corona-Pandemie hat sich die Arzneimittelversorgung in Deutschland durchaus als sehr robust herausgestellt. Wesentlich dazu beigetragen haben hier die Apotheken, die trotz großer eigener Betroffenheit, denn auch sie hatten mit einem erhöhten Krankenstand zu kämpfen, dazu beigetragen haben, dass die Versorgung der Patienten durchgängig auf einem sehr hohen Niveau stattfinden konnte. Dabei haben sie unter Beweis gestellt, wie sie flexibel und schnell auf neue Anforderungen der Pandemie reagieren konnten. Dabei denke ich beispielsweise an die Ausgabe der Schutzmasken, die Herstellung von Desinfektionsmitteln oder aber gemeinsam zwischen dem LAV und der AOK Baden-Württemberg getroffenen Regelungen wie die Vergütung und damit Etablierung des Botendienstes.

Die Flächendeckung der Versorgung hat sich gerade in der Pandemie als besonders wichtiger Faktor erwiesen. Gleichzeitig verlieren wir Jahr um Jahr Apotheken - und das seit vielen Jahren in Folge. Wir machen uns hier große Sorgen. Wie beurteilen Sie das?
Die Versorgung der Menschen vor Ort hat auch für die AOK Baden-Württemberg einen hohen Stellenwert und die Apotheken haben hier eine große Bedeutung. Dass wir uns dazu verpflichtet fühlen, unterstreichen wir seit Jahren mit unserem GESUNDNAH-Anspruch. Daher sehen wir den Rückgang der Apotheken im Land durchaus mit Sorge.
Wichtig ist, dass alle Versicherten zügig mit den richtigen Arzneimitteln versorgt werden und dabei die notwendige pharmazeutische Beratung nicht zu kurz kommt. In unterversorgten Gebieten kann dies gegebenenfalls auch eine Form des Botendienstes oder digitale Versorgungsangebote umgesetzt werden. Klar ist aber auch, diese Alternativen haben ihre Grenzen und können nicht beliebig und überall eingesetzt werden.

Seit dem letzten Corona-Winter begleiten uns massive Lieferschwierigkeiten. In den Fokus der Öffentlichkeit waren im rezeptfreien Bereich die Fiebersäfte für Kinder gerückt – eine ganz außergewöhnliche Erscheinung. Aber auch bei vielen verordneten Arzneimitteln wie Antibiotika, Herz-Kreislauf-Medikamenten, Asthmasprays oder bei starken Schmerzmitteln gibt es Engpässe. Die Zahl der gemeldeten Engpässe für rezeptpflichtige Arzneimittel ist derzeit auf einem Allzeithoch. Wie erleben Sie und die AOK-Versicherten die Situation?
Lieferengpässe sind für Patienten eine große Last und müssen beseitigt werden. Es braucht eine umfassende Meldepflicht bei drohenden Lieferengpässen über die gesamte Lieferkette mit einer kontinuierlichen und fallbezogenen Bewertung der Daten durch den Beirat beim BfArM zur Abschätzung der Folgen für die Versorgung, um für vollständige Transparenz und schnelle Handlungsmöglichkeiten zu sorgen.

Es wird immer auch das Argument gebracht, dass die Rabattverträge nicht ganz unschuldig an der aktuellen Situation sind. Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für die Lieferengpässe? Haben wir Arzneimittel zugrunde gespart?
Lieferengpässe können aufgrund vielfältiger Faktoren auftreten: Mangelnde Qualität oder Quantität in der Produktion, Transportprobleme oder auch eine überdurchschnittliche Nachfrageentwicklung wie wir es bei den Fiebersäften aufgrund einer sehr starken Infektionswelle im letzten Winter gesehen haben. Das kann jederzeit passieren – völlig unabhängig auch vom Erstattungspreis, weil jede Produktion auf betriebswirtschaftliche Effizienz getrimmt wird, also vor allem der Minimierung der Kosten.
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Die AOK-Gemeinschaft nutzt das Instrument der Rabattverträge zur Stärkung der Versorgungssicherheit, unter anderem durch Vorgaben zur Lagerhaltungspflicht, aber auch indem Vertragspartner Planungssicherheit erhalten. Abrechnungsdaten der GKV für 2021 zeigen, dass Lieferausfälle bei der Versorgung mit Rabattarzneimitteln bei nur 1,2 Prozent lagen, während im patentfreien „Nichtvertragsmarkt“ die Ausfälle mit 4 Prozent mehr als dreimal so hoch waren.
Etliche Lieferengpässe betreffen Arzneimittel aus dem stationären Bereich, in dem gar keine Rabattverträge bestehen und auch Festbeträge sowie Preismoratorium nicht greifen. Dort gelten ausschließlich Preise, die pharmazeutische Unternehmer den Kliniken anbieten. Dies verdeutlicht, dass die Ursachen zur Bekämpfung von Lieferengpässen nicht bei den Wirtschaftlichkeitsinstrumenten der GKV zu suchen sind.

Eine rasche Intervention war beispielsweise die Aufhebung der Festbeträge bei den Kinder-Fiebersäften. Manch einer denkt, dass Sie als Krankenkasse doch einfach die Festbeträge anheben könnten, um wieder mehr Arzneimittel auch auf den deutschen Markt zu leiten?
Bei den Fiebersäften konnten wir in erster Linie zwei Faktoren beobachten: eine extrem erhöhte Nachfrage und ungleiche Bevorratung bei Apotheken aber auch bei deren Kunden. Daher braucht es dringend Vorgaben zur zielgerichteten versorgungsnahen Bevorratung sowie Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. Im konkreten Fall hat die AOK Baden-Württemberg in frühzeitiger Absprache mit dem LAV Baden-Württemberg bereits im Sommer 2022 sowohl die Kosten für Rezepturen, verfügbare Importe sowie auch Mehrkosten für die noch verfügbaren Fertigarzneimittel im vollen Umfang übernommen, um kurzfristig die Versorgungssituation zu verbessern.
Die AOK Baden-Württemberg kann jedoch als einzelne Krankenkasse nicht einfach die Festbeträge an- oder aufheben. Das muss über den GKV-Spitzenverband passieren und ist, zumindest temporär, in dem von Ihnen genannten Indikationsgebiet bereits passiert.
Das Problem der Lieferengpässe wird allerdings nicht gelöst, indem es auf die Preisdiskussion reduziert wird.

Für Apotheken bedeuten die Lieferengpässe einen großen Mehraufwand bei der Patientenversorgung. Darum fordert die Apothekerschaft eine angemessene Honorierung für diese herausfordernde Leistung. Können Sie die Forderung nachvollziehen?
Die Forderung nach einer angemessenen Honorierung ist aus Sicht des Fachpersonals in den Apothekenoffizinen, die tagtäglich mit Lieferengpässen umgehen müssen, durchaus nachvollziehbar. Der Gesetzgeber sieht ebenfalls einen gewissen Mehraufwand und hat im ALBVVG einen Zuschlag für den Austausch von versorgungskritischen und versorgungsrelevanten Arzneimitteln bei Lieferengpässen von 50 Cent plus Mehrwertsteuer vorgeschlagen.
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Wichtiger als die Diskussion um die Vergütung des Managements von Lieferengpässen, ist jedoch die Konzentration auf die Bekämpfung von deren Ursachen. (…)

LAV-Mitglieder lesen das komplette Interview hier.