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Präzisions-Marketing für Apotheken

Erschienen am 1. März 2023 | Letzte Änderung 1. März 2023

Ein Interview mit Professor Dr. Gerhard Riegl, Hochschule Augsburg

Seit den Corona-Jahren sind in Apotheken viele neue Leistungen hinzugekommen: Neue Aufgaben wie Testungen, Impfungen oder die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen gehören heute für viele Apotheken dazu. Medikamentenvorbestellungen, Botendienste und die zunehmende Digitalisierung auch in Richtung des E-Rezeptes werden den Alltag auch in Zukunft weiter verändern. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, ob Apotheken sich neu erfinden müssen, um zeitgemäß und zukunftsfähig ihren Versorgungsauftrag bewältigen zu können. Die LAV-Nachrichten haben den Marketing-Professor Dr. Gerhard Riegl befragt, wie eine erfolgversprechende Marktpositionierung der öffentlichen Apotheken aussehen muss.

Herr Riegl, was verkörpert für Sie als Marketing-Professor eine öffentliche Apotheke – welche Attribute oder Unique-Selling-Points fallen Ihnen zuerst ein?
Apotheken bieten sozialkompetente Gesundheits-Erlebniswerte unter akademischer Inhaberführung. Das gesamte Erlebnis bei einem Offizinbesuch macht Apotheken für Patienten noch einzigartiger und mehr unaustauschbar sowie unverzichtbarer als die professionelle Abgabe von Arzneimitteln und die garantierte Arzneimittel-Qualität. Das haben unsere individuellen Erfolgsanalysen und Beratungen von 4.600 Apotheken in Deutschland auf der Basis von Patientenforschung bei 250.000 Apothekenbesuchern ergeben.

So entwickeln sich empathische Apothekenerlebniswerte immer mehr zu langlebigen Wettbewerbs-Differenzierungsmerkmalen, bei im Prinzip substituierbaren Qualitäts-Angeboten und Pseudo-Preisschnäppchen. Die neue Währung für Patienten heißt: Erlebnis und Vertrauen.

Mehrwert-Apotheken sollten sich deshalb zu sozialen Orten weiterentwickeln. Der Besuch der Apotheke ist so etwas wie ein Gesundheits-Event, bei dem Menschlichkeit den bedeutsamen Unterschied macht. Das kann im Internet nur vorgetäuscht werden. (…)

Sind diese Attribute aus Ihrer Sicht zeitgemäß, oder wohin sollten sich Apotheken entwickeln?
Apotheken als beste Patientenversteher, die auch mit digitalem Fährtenlesen präzise zu passenden Zielgruppen finden und möglichst wenig dem Zufall überlassen, sind die künftigen Aufsteiger. Voraussetzung dafür ist überlegenes Patientenwissen zwecks mehr Achtsamkeit, echter Wertschätzung, treffsicherem Einfühlungsvermögen und bedarfsgerechter hyperpersonalisierter Betreuung. Einvernehmliche Daten sind das neue Gold der Apotheke. Das Problem: Zu viele Apotheken sind noch Patienten-Daten-Analphabeten mit Datendesinteresse, Datenphobien, Dystopien oder mit Angst vor Spionage-Verdacht. Pharmazeuten begeistern sich hingegen viel mehr für Warenwirtschaftsdaten, Medikationsdaten und steuerliche Wirtschaftsdaten als für einvernehmlich anvertraute Patientendaten, wie sie beispielsweise alle Bonuspartner, Botendienstanbieter, Plattformen, Onlineversender und Portale rund um Apotheken systematisch sammeln und nutzen. Wettbewerber können sich ins Fäustchen lachen, wenn Apotheken ihre Patientendaten so vernachlässigen. (…)

Zur Person

Dr. Gerhard Riegl ist Professor für Marketing an der Fakultät für Wirtschaft der Hochschule Augsburg. Er forscht, publiziert und referiert insbesondere zu apotheker-, arzt- und patientengerechter Versorgungsforschung im ambulanten und stationären Bereich.


Apotheken und Marketing – warum gehören für Sie diese beiden Begriffe durchaus zusammen und was entgegnen Sie Skeptikern, die Marketing, also verkaufsfördernde und kundenbindende Maßnahmen, im Gesundheitssektor kritisch sehen?
Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Authentizität von Apotheken werden nicht erst durch fachkompetente Abgabe von Qualitätsarzneimitteln ausgelöst, sondern entstehen bereits davor durch erste Erlebnisqualitäten. Menschen fühlen bekanntlich bevor sie denken und Gefühle steuern, was sie rational wahrnehmen und wie sie urteilen. Wer gut sein will, muss folglich zuerst gut wirken, am besten schon vor der Beratung. Wunder erlebt nur, wer auch an Wunder glaubt.

Unintelligentes Marketing mit offensichtlich verkaufsfördernden oder kundenbindenden Maßnahmen ist schädlich, weil es evolutionsbedingt von Menschen als Fallensteller-Strategien empfunden wird. Aber einfühlsames Abraten oder passgenaue Geheimtipps werden als glücklich machende Apothekenfreundschaften aufgenommen.

Das neue Präzisionsmarketing für Apotheken ist am besten, wenn es non-direktiv und personalisiert guten Einfluss auf Patienten ausübt. Dabei sollte alles von Patienten als ihr Einkaufen und nicht als Verkaufen des Apothekers empfunden werden. Am besten, der Patient will nach Aufklärung und Beratung aus Selbstüberzeugung genau das, was ein guter Apotheker wollte, dass er wollen sollte. Dies ist auch ein entscheidender Beitrag zu mehr Adhärenz. (…)

Kurzer Realitätsabgleich zum Schluss dieses Interviews: Personalnot, Kostendruck, Lieferengpässe: Damit schlagen sich Apotheken derzeit herum. Woher sollen noch Kraft, Zeit und Motivation für Marketing-Überlegungen kommen?
Diese Frage offenbart ein fatales Marketing-Missverständnis. Denn sie vermittelt: Jetzt ist große Krise und dann auch noch als „notwendiges Übel das Marketing“. Für Apotheken gibt es jedoch nichts Wichtigeres als erfolgreichen Umgang mit Patienten, gerade unter den extrem erschwerten Krisenbedingungen. Dafür ist Marketing die Königsdisziplin. Wer jetzt in der Apotheke zum Beispiel wegen Fachkräftemangel und Personalnot die entscheidende Patientenorientierung gegen Personalorientierung ausspielt wird zum Verlierer. Ohne gewinnbringende Patientenattraktivität gibt’s auch keine tragfähige Anziehungskraft für gute Mitarbeiter:innen. (…)

LAV-Mitglieder lesen das komplette Interview hier.