Grafik digitale Ziffern und Rezepte
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Der Blick über den Tellerrand: Die Zukunft der DAV-WebApp und des E-Rezepts

Ein Interview mit ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold
Webcode V210941 | Erschienen am 2. November 2020 | Letzte Änderung 2. November 2020

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Mathias Arnold, Sie sind Vizepräsident der ABDA und haben das Projekt DAV-WebApp seit 2019 vom Start weg eng begleitet. Wie geschockt waren Sie, als die Meldung kam, dass die gematik eine eigene App für die E-Rezepte bereitstellen will – war das der Todesstoß für die DAV-WebApp?

Solche markigen Begriffe finde ich da übertrieben, zumal sich die Entscheidung ja abgezeichnet hat. Politik ist immer auch die Suche nach dem besten Kompromiss. Der Gesetzgebungsprozess bietet dafür Zeit zum Verstehen, Argumentieren und Überzeugen. Fakt ist, dass das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) schon 2019 festgelegt hat, dass die gematik GmbH das E-Rezept bis zum 30. Juni 2020 in seinen technischen Details spezifizieren muss.

Das im Sommer dieses Jahres vom Bundestag verabschiedete Patientendatenschutzgesetz (PDSG) stellt jetzt zusätzlich klar, dass die gematik auch die entsprechende Anwendung zum Abruf und Transport sowie zur Verwaltung und Lagerung des E-Rezepts entwickeln soll – und zwar bis zum 30. Juni 2021, damit das E-Rezept flächendeckend ab 1. Januar 2022 in Deutschland zu Verfügung steht.

Übrigens haben wir nie gesagt, dass es unbedingt die DAV-WebApp sein muss, die das E-Rezept transportiert – wir haben der Politik nur ein gutes Angebot gemacht. Wichtig ist, dass es eine bundeseinheitliche, kosten- und werbefreie, niedrigschwellige und wettbewerbsneutrale Applikation gibt, die sowohl allen Patienten als auch allen Apotheken denselben Zugang bietet.

Wo steht die DAV-WebApp heute, und wie viele Apotheken haben sich deutschlandweit eingeschrieben?

Für die DAV-WebApp hatten sich innerhalb weniger Monate mehr als 12.000 Apothekeninhaber registriert. Das ist die übergroße Mehrheit aller Inhaber und somit ein großer Vertrauensvorschuss für den DAV und unsere IT-Abteilung. Unter den neuen gesetzlichen Vorzeichen wird die bisherige „DAV-WebApp“ nun als „Rezeptmanager“ weiterentwickelt. Neue Features und Funktionen sollen den Patienten und Apotheken einen spürbaren Mehrwert liefern.

Wir haben das große Glück, den „Rezeptmanager“ in einem Pilotprojekt in Berlin und Brandenburg erproben und weiterentwickeln zu können. Mit Phase II dieses vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten E-Rezept-Projekts in der Zukunftsregion Digitale Gesundheit (ZDG) können wir kontinuierlich an dieser Anwendung arbeiten – und nachweisen, wie etwas funktionieren kann und umsetzbar ist. Übrigens werden viele technische Details des E-Rezeptes und der gematik-App in einer dem Inkrafttreten des PDSG folgenden Rechtverordnung durch das BMG geregelt. Für die Ausgestaltung dieser Verordnung liefern wir dem BMG mit dem Modellprojekt in Berlin eine Vielzahl von Erfahrungswerten.

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Den kompletten Artikel finden Sie in den LAV-Nachrichten 5|2020.


Was wird die DAV-WebApp konkret können, wenn das E-Rezept Wirklichkeit wird – und wird es sie überhaupt noch geben?

Das wird maßgeblich von dem laufenden E-Rezept-Pilotprojekt in Berlin und Brandenburg abhängen. Die erste Testphase der Anwendung in Berlin unter Beteiligung von Apotheken und Arztpraxen ist ja schon erfolgreich abgeschlossen. Es stellt damit das erste in der Praxis erfolgreich getestete Projekt dar – von der Verschreibung des E-Rezepts in der Arztpraxis über den Transport inklusive Apothekenauswahl bis hin zur Abgabe in der Apotheke. Die Impulse und Erfahrungen der vergangenen Monate fließen jetzt in die zweite Testphase des Modellprojekts ein.

Der „Rezeptmanager“ wird Patienten nicht zuletzt ermöglichen, die Dispensierdaten zu managen. Weitere Nachsorgefunktionen mit Mehrwert sind ebenfalls in der Entwicklung. Der „Rezeptmanager“ gewährleistet dabei natürlich, dass die Patienten nicht gesteuert oder beeinflusst werden, sondern ihr Recht auf freie Apothekenwahl gewahrt bleibt – ohne Werbung, Datensammlung oder Vorteilsgewährung. (...)

Unsere letzte Frage beschäftigt sich noch mit der Angst oder der Skepsis rund um das E-Rezept, welche auch in der Apothekerschaft bestehen. Welche möglichen Gefahren sehen Sie im E-Rezept und auch welche Chancen wird es für die Vor-Ort-Apotheke bringen?

Ja, das E-Rezept wird die Arzneimittelversorgung in Deutschland verändern, auch wenn viele Patienten in einer Übergangsphase weiterhin noch einen Ausdruck haben wollen oder müssen, weil sie kein Smartphone besitzen oder einfach etwas Greif- und Lesbares in der Hand haben wollen.

Die Apotheken vor Ort müssen - technisch gesehen - keine Angst vor dem E-Rezept haben, denn auch jetzt schon ist ja ihr „back office“ so durchdigitalisiert wie in kaum einer anderen Branche. Das E-Rezept gibt uns etliche Chancen, den Prozessablauf in der Apotheke zu verbessern und zu vereinfachen. Beim E-Rezept werden zum Beispiel formale Fehler, die Retaxationen auslösen, weitgehend der Vergangenheit angehören.

Die Skepsis mancher Apotheker rührt ja – zurecht – eher von der Frage her, ob und wie das E-Rezept überhaupt zu ihnen in die Apotheke kommt. Da hat auch das IGES-Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums kürzlich gesagt, dass das E-Rezept ein „game changer“ („Spielveränderer“) sei, weil es bei Versandapotheken genauso schnell sein kann wie in der Apotheke um die Ecke.

Deshalb kommt es eben gerade auf die richtigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen an, für die die Kammern und Verbände seit Jahren immer wieder kämpfen. Deshalb sind einheitliche Abgabepreise im rezeptpflichtigen Bereich so wichtig. Und deshalb dürfen Rezepte nicht zugewiesen und nicht gemakelt werden. Jede Apotheke muss dieselbe Chance haben, den Patienten zu überzeugen, dass er sein Rezept dort einlösen soll. Für solch einen fairen Qualitätswettbewerb sollten alle Apotheker gemeinsam stehen.