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Arzneimittelabgabeautomat erneut vor Gericht

Webcode V106755 | Erschienen am 10. April 2019

Stuttgart – Im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) hat der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) erneut seine Argumente gegen die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelabgabeautomaten in der baden-württembergischen Ortschaft Hüffenhardt vorgetragen. Der Automat war im April 2017 durch die niederländische Aktiengesellschaft DocMorris in Betrieb genommen und sowohl durch das Regierungspräsidium Karlsruhe als auch Mitte Juni 2017 auf Antrag des LAV und weiterer Kläger durch gerichtliche Verfügung des Landgerichts Mosbach geschlossen worden. In erster Instanz bestätigten mehrere Urteile des Landgerichts Mosbach zum Jahresende 2017 diese Schließung, die es DocMorris untersagt, in Hüffenhardt über das Videoterminal dort gelagerte Arzneimittel an Kunden abzugeben. Trotz der klaren und gut begründeten Urteile hat DocMorris die gerichtlichen Verbote nicht als endgültige Regelungen anerkannt und Berufung gegen die erlassenen Urteile eingelegt. Im jetzigen Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe wird der Prozess neu aufgerollt.

Der LAV Baden-Württemberg zeigte sich am heutigen Verhandlungstag zuversichtlich, dass auch die Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil bestätigt und damit dem Versuch von DocMorris, sich mit der streitgegenständlichen Arzneimittelabgabestelle in Hüffenhardt Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Arzneimittelsicherheit zu verschaffen, einen Riegel vorschiebt.

Aus Sicht des LAV Baden-Württemberg überzeugt die Begründung des Landgerichts aus der ersten Instanz, das in seinem Urteil im Wesentlichen auch den durch den Verband vorgetragenen Argumenten folgte. So kam das Gericht zu dem Schluss, dass sich die Abgabe von apothekenpflichtigen Arzneimitteln aus dem Automaten als unzulässig darstellt. Zur Begründung orientierte sich das Gericht am § 43 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Demnach dürfen Arzneimittel, die nicht für den Verkehr außerhalb der Apotheke freigegeben sind, nur in Apotheken an Endverbraucher abgegeben werden. Auch der Versand solcher Arzneimittel ist ohne behördliche Erlaubnis nicht gestattet. Eine Apothekenbetriebserlaubnis für den Hüffenhardter Automaten legte DocMorris aber nicht vor. DocMorris habe insoweit, so das Gericht, in Hüffenhardt Arzneimittel nicht in einer Apotheke in Verkehr gebracht.

Auch sei der Automat keine Spielart des Versandhandels, argumentierte das Gericht. Versandhandel umfasse begrifflich nicht den Erwerb von Arzneimitteln an dem Ort, an dem diese gelagert seien und von dem aus der Kunde sie wenige Augenblicke zuvor angefordert habe. Ein wesentliches Merkmal des Versandhandels sei es, dass der Kunde bestimme, wohin die Ware geliefert werden solle. Im Fall des Arzneimitteautomaten in Hüffenhardt entscheide aber DocMorris, ob ein angefordertes Medikament an den in der Arzneimittelabgabestelle anwesenden Kunden abgegeben werde.

Ein weiteres Merkmal des Versandhandels sei, dass sich der Kunde bewusst sei, einige Zeit auf den Erhalt der Ware warten zu müssen, während der Kunde in Hüffenhardt beabsichtige, wie bei einer zugelassenen Präsenzapotheke, das Arzneimittel unmittelbar nach dem Bestellvorgang zu erhalten, weil er davon ausgehe, dass es dort bereitgehalten werde. Allein die Bestellung eines Produkts über ein Videoterminal lasse nicht den zwingenden Schluss zu, dass es sich hierbei um ein Inverkehrbringen durch den Versandhandel handle.

Zusätzlich sei die Abgabestelle in Hüffenhardt auch keine Abholstation, meinte das Gericht. Der Kunde suche die Abgabestelle auf, weil er dort Arzneimittel erwerben könne, über die zuvor kein Kaufvertrag zustande gekommen sei und nicht auf seinen Wunsch nach Hüffenhardt zur Abholung gebracht worden seien. DocMorris entscheide darüber, ob ein angefordertes Arzneimittel an den Kunden abgegeben werde, nicht der Kunde wohin die Ware geliefert werde. Einen grenzüberschreitenden Sachverhalt und damit einen Schnittpunkt zur europarechtlichen Warenverkehrsfreiheit hat das LG Mosbach verneint.

Der Abgabeautomat von DocMorris verstoße darüber hinaus gegen die Vorgabe, dass die Originalverordnung zum Zeitpunkt der Abgabe nicht dem abgebenden Apotheker im Original vorliege (§ 17 Abs. 5, 6 ApBetrO). DocMorris könne so ihren ihr nach der Apothekenbetriebsordnung obliegenden Dokumentationspflichten nicht nachkommen, d. h. im Falle von Unklarheiten Änderungen oder Ergänzungen auf der Verordnung zu vermerken und diese zu unterschreiben. Gleiches gilt für die bei der Abgabe von Arzneimitteln auf der Originalverordnung anzubringenden Angaben der Apotheke. Auch würden aus den Räumen in Hüffenhardt Arzneimittel abgegeben, die vorher nicht wie in der Apotheke nach § 12 Abs. 1 ApBetrO stichprobenartig einer Prüfung unterzogen würden.

Ein weiteres gerichtliches Verbot erging gegen die Mieterin der Räumlichkeiten in Hüffenhardt. Gegen das Unternehmen Tanimis B.V, eine Schwestergesellschaft von DocMorris, wurde ebenfalls zunächst per einstweiliger Verfügung und anschließend im Hauptsacheverfahren entschieden. Auch dieses Urteil wurde von DocMorris im Wege der Berufung vor dem OLG Karlsruhe angefochten.

Gerichtliche Entscheidungen:

In Sachen LAV Baden-Württemberg e. V. ./. Doc Morris:

  • Einstweiliger Verfügung:
    Urteil des LG Mosbach vom 14.06.2017, Az. 4 O 18/17 KfH
  • Hauptsacheverfahren:
    Urteil des LG Mosbach vom 21.12.2017, Az. 4 O 35/17)

In Sachen LAV Baden-Württemberg e. V. ./. Tanimis B.V.:

  • Einstweiliger Verfügung:
    Urteil des LG Mosbach vom 26.07.2017, Az. 3 O 7/17
  • Hauptsacheverfahren:
    Urteil des LG Mosbach vom 15.02.2018, Az. 4 O 37/17

Hintergrund:

Arzneimittel sind besondere Waren, die aus berechtigten Gründen einer Vielzahl regulatorischer Vorschriften unterliegen. Dies betrifft nicht nur die Herstellung von Arzneimitteln oder die Erlangung von Zulassungen, sondern auch ihre Abgabe an Verbraucher und ihren Vertrieb. Arzneimittel können durch fehlerhafte Lagerungen ihre Wirksamkeit verlieren oder gegebenenfalls schädlich sein. Überdosierungen und Fehlmedikationen können zu erheblichen Schädigungen des Patienten bis hin zum Tod führen. Arzneimittelgesetz (AMG) und Apothekengesetz dienen deshalb in erster Linie der Patienten- und Verbrauchersicherheit. Apotheken in Deutschland werden behördlich eng überwacht.

Der Abgabeautomat in Hüffenhardt ist nach Auffassung des LAV Baden-Württemberg ein Versuch, sich dieser Überwachung zu entziehen und unter dem Deckmantel eines tatsächlich nicht vorliegenden Versandes in Hüffenhardt, vorrätige und außerhalb von Apotheken gelagerte Arzneimittel direkt an den Patienten abzugeben. Nach Ansicht des LAV Baden-Württemberg verstößt dies gegen den Apothekenvorbehalt in § 43 AMG, da apothekenpflichtige und verschreibungspflichtige Arzneimittel in Räumlichkeiten abgegeben und ausgehändigt werden, die nicht von einer Apothekenbetriebserlaubnis umfasst sind.

Ein Versand liegt offensichtlich nicht vor, da die Arzneimittel schon in den Räumlichkeiten in Hüffenhardt lagern. Merkmal des Versandes ist, dass ein Arzneimittel zum Patienten kommt und nicht wie vorliegend der Patient zum schon in den Geschäftsräumlichkeiten vorrätigen Arzneimittel.

Da die Arzneimittel sich bis zur Veranlassung der Abgabe nicht durchgängig in genehmigten und überwachten Apothekenbetriebsräumlichkeiten befinden, ist bei dem Automat auch nicht sichergestellt, dass Beschädigungen oder Qualitätsverluste erkannt werden.

Bei der Überprüfung von Verschreibungen – DocMorris will über den Automat auch verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben – können Rezeptfälschungen über einen Videobildschirm nicht so gut erkannt werden, wie bei der körperlichen Prüfung einer Verschreibung durch einen Apotheker in einer Apotheke. Farbkopien von Verschreibungen können regelmäßig nur durch eine Kontrolle von Papier und Schrift durch Berührung und Abtasten identifiziert werden; Möglichkeiten, die ein Mitarbeiter an einem weit entfernten Videobildschirm nicht hat. Auch Änderungen bei der Arzneimittelabgabe können bei dem Hüffenhardter Automat nicht vom Video-Apotheker auf der Originalverschreibung vermerkt und mit der Unterschrift bestätigt werden, wie es die Apothekenbetriebsordnung vorschreibt.

Ausländische Versandapotheken, die an Patienten in Deutschland Arzneimittel liefern, müssen die Vorgaben von Apothekengesetz und Arzneimittelgesetz in Deutschland ebenso einhalten wie die Regelungen der Apothekenbetriebsordnung. Nur so sind Arzneimittelsicherheit und Verbraucherschutz gewährleistet.

Selbst die Warenverkehrsfreiheit, die DocMorris gerne für sich in Anspruch nimmt, führt nicht dazu, dass eine überwachungsfreie Arzneimittelabgabe in Deutschland toleriert werden muss.